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                                  START         Jo Specht                                                                             

Gesicht im Spiegel

   Schauspieler: »Was hast du gesagt, was ist für dich ein Schauspieler?«

   Krankenschwester: »Das Gesicht ist das wichtigste was ein Schauspieler hat. Ich habe dich wegen deiner Gesichtseinstellungen im Fernsehen und was du mit deinem Gesicht ausgedrückt hast, schon gelobt. Erinnerst du dich?«

   Schauspieler: »Es kommt auf die Rolle an. Auf die Rolle, die der Schauspieler …«

   Krankenschwester: »Ein vertrauenswürdiges Gesicht passt nicht zu einem Mörder.«

   Schauspieler: »Doch, genau das kann die Geschichte sein. Der Mörder mit dem vertrauenswürdigen Gesicht. Was ist mit dir los? Du denkst in deiner Situation an Gesichter?«

   Krankenschwester: »Das lenkt mich ab, von allem. Ich sage es andersherum. Eine Vertrauensperson, mit dem sich die Zuschauer eines Films identifizieren sollen, kann keine Verbrechervisage haben. Davon bin ich überzeugt.«

   Schauspieler: »Auch das kann die Geschichte sein, die im Film erzählt wird. Der optisch vermeintlich Böse rettet die Welt und will kein Geld dafür.«

   Krankenschwester: »Du willst mich nicht verstehen.«

   Schauspieler: »Ich verstehe dich. Zumindest, ich versuche es.«

   Krankenschwester: »Nach meiner Meinung wird in Filmen ein zu großer Gesichtskult betrieben. Der führt dazu, dass Zuschauer falsche Gesichtsausdrücke, also falsche Gesichter an falschen Stellen sehen. Das möchte ich sagen, nur das.«

   Schauspieler: »Ich verstehe.«

   Krankenschwester: »Mit einem Gesicht kannst du, nur mit dem Gesicht, ohne Worte, Wut Trauer, Glück, Freunde, Überraschung, Skepsis, Nachdenklichkeit und vieles mehr ausdrücken.«

   Schauspieler: »Das ist richtig. Sagen wir, mit bestimmten Gesichtsausdrücken kannst du die unterschiedlichsten Emotionen den Zuschauern signalisieren. Das versuche ich immer - nachvollziehbare Emotionen rüberzubringen.«

   Krankenschwester: »Zeigen, das ist das bessere Wort, nicht signalisieren. Genau das wird missbraucht.«

   Schauspieler: »Das meinst du!«

   Krankenschwester: »Ich weiß es, denn ich schaue viele, sehr viele Filme. Ich lese keine Bücher, ich gehe nicht ins Theater oder Ballett, ich schaue Filme. Ich bin ein Filmfan, durch und durch - Movies im Fernsehen oder im Kino, keine Serien.«

   Schauspieler: »Bist du das schon immer oder seit es dir nicht mehr gutgeht.«

   Krankenschwester: »Schon sehr lange.«

   Schauspieler: »Niemand sieht dir etwas an, ich meine deinen Zustand. Du meisterst deine Situation sehr gut.«

   Krankenschwester: »Ich bin Krankenschwester und weiß wie es geht.«

   Schauspieler: »Du bist schon über dem Berg, jetzt kann es nur noch bergauf gehen.«

   Krankenschwester: »Witzbold! Wenn du über den Berg bist, den Gipfel passiert hast, geht es bergab.«

   Schauspieler: »Du weißt wie ich es meine.«

   Krankenschwester: »Wenn die Kamera auf ein Gesicht zufährt, das Gesicht für den Zuschauer größer und größer wird, bis das ganze Bild nur das Gesicht ist, erzeugt das eine besondere Spannung, Dramatik, auch Bedeutung. Der Gesichtsausdruck steht für etwas, für das die Figur in dem Film steht. Der Gesichtsausdruck steht für die Persönlichkeit der gespielten Figur. Zu sehen ist zum Beispiel eine innerliche Zerrissenheit. Ja, die gegensätzliche Pole in einem Menschen kann ein Gesicht widerspiegeln. Für mich sind groß dargestellte Gesichter entscheidend für die Glaubwürdigkeit eines Films. Für die Geschichte und Handlungen des Films.«

   Schauspieler: »Und?«

   Krankenschwester: »Für mich gibt es zu viele Filme mit zu vielen Gesichtseinstellungen, die unglaubwürdig sind. Dazu zähle ich an erster Stelle die skandinavischen Filme. An den unmöglichsten Stellungen kommen Nahaufnahmen von blödsinnigen Gesichtern.«

   Schauspieler: »Aha?«

   Krankenschwester: »Da ist ein Kommissar, der jagt einen Mörder, die Erkenntnis, wer der Mörder ist, drängt sich ihm und den Zuschauern immer mehr auf. Der Kommissar hat Hunger, macht kurz vor der Lösung des Falls eine kurze Pause an einer Imbissbude, bestellt einen Burger, plötzlich hält er inne. Sein Gesicht ist in Großformat zu sehen. Sein Gesicht ist angewidert und entsetzt. Die Zuschauer lesen in diesem Gesicht, versuchen den Grund für den nicht erwarteten Gesichtsausdruck herauszufinden. Sie versuchen eine Verbindung zum möglichen Mörder zu finden und rätseln. Das Gesicht ist angewidert und entsetzt weil der Burger schlecht ist. Der Burger schmeckt dem Kommissar nicht, ach herrje. Dieses Gesicht und dieser Burger haben mit der Geschichte des Films überhaupt nichts zu tun. Verstehst du?«

   Schauspieler »Die Zuschauer werden in die Irre geführt.«

   Krankenschwester: »Ich würde sagen, verarscht.«

   Schauspieler: »Es gibt gute und schlechte Filme.«

   Krankenschwester: »Es gibt zu viele Filme, in denen Gesichter nichts mit der Geschichte zu tun haben. Filme mit bedeutungslosen Gesichtern. Und stell dir vor, mit solchen Gesichtern soll eine Spannung aufgebaut werden? Ich sage dir, die Zuschauer werden immer öfters mit nicht passenden Gesichtseinstellungen während eines Films verarscht.«

   Schauspieler: »Ich stimme dir uneingeschränkt zu. Doch was hat das jetzt mit deiner Situation zu tun? Ich spüre, du willst mir etwas ganz anderes sagen.«

   Krankenschwester: »Als ich heute den Befund öffnete, habe ich es andersherum gemacht. Ich wusste insgeheim schon, was in dem Befund stand. Trotzdem war mein Gesicht fröhlich. Es zeugte von einer besonderen Leichtigkeit. Von einer großen Lebenslust. Obwohl ich wusste, dass ich nur noch ein paar Wochen oder Monate habe.«

   Schauspieler: »Das bedauere ich sehr! Das ist sehr traurig!«

   Krankenschwester: »Ich habe beschlossen, mich im Umgang mit dem Gewehr ausbilden zu lassen und an die Front zu gehen. Ich werde mithelfen, mein Land gegen dieses Eindringlinge zu verteidigen.«

   Schauspieler: »Was ist das? Du willst im Kampf sterben?«

   Krankenschwester: »Nein, ich widme meine noch verbleibende Lebenszeit unserem Land, unserem Volk.«